Tagebuch Tag 1

Eigentlich waren wir früh genug am Startpunkt in Dresden. Haben unser Roadbook erhalten, noch ein paar Besorgungen gemacht, mit anderen Teams ein kurzes Gespräch geführt, die Einweisung angehört und irgendwie war die Zeit ruck-zuck um. Wir saßen nun im Auto, sahen wie vor uns die ersten Fahrzeuge über die Startlinie fuhren und waren aufgeregt. Der Moment, auf den wir Monate hin gefiebert hatten war plötzlich da. Unsere Nummer und der Team-Name wurde aufgerufen als wir über die Startlinie rollten und ich hörte den Starter beim Anblick unseres Autos nur noch sagen „ein schöner Saab, gut gemacht...oder gar nicht gemacht“, womit er wohl die fehlende Lackierung meinte.

Und dann waren wir auch schon unterwegs. Aus dem Roadbook haben wir entnommen, dass uns die erste Tages-Etappe direkt in die Region Moravia (?) führen würde. Als Ziel für den Tag wurde der Ort Olomouc genannt. Wir waren überhaupt nicht auf die Tschechische Republik eingestellt, da wir im Vorfeld vermuteten, die Tour würde uns durch Süd-Polen führen. Folglich hatten wir weder eine Karte der Region, noch haben wir die Ortsnamen jemals gehört. Zum Glück konnten wir kurz vor der Abfahrt mit unserem Handy noch die Landkarte eines befreundeten Teams und die eingezeichnete Route abfotografieren. Daher wussten wir, dass es von Dresden zunächst nach Pirna und dann weiter in Richtung Grenze geht.

Kurz nach Pirna erreichten wir Königstein und ab hier begann für mich eine Reise in Regionen, in denen ich nie zuvor war. Noch vor Erreichen der ersten Grenze war ich in Deutschland beindruckt von der landschaftlichen Schönheit, die sich entlang der Elbe zeigte. Idyllische Dörfer mit zahlreichen Unterkünften und jede Menge Touristen waren ein klares Indiz, dass die Sandsteingebirge der sächsischen Schweiz wohl ein beliebtes Urlaubsziel sind. Gern wäre ich ausgestiegen und hätte mir alles in Ruhe angesehen, aber schon meldete sich der Rallye-Geist, der uns in den nächsten Tagen nur allzu oft besuchte, und sage „keine Zeit, du must weiter!“

Trotzdem gönnten wir uns eine kurze Pause auf einem Parkplatz in Bad Schandau, denn wir wollten uns mangels Karte nochmal im Internet in Ruhe die Route ansehen. Außerdem hatte ich in der Nacht zuvor nur 4 Stunden geschlafen und wünschte mir nicht im Zelt, sondern in einem richtigen Bett zu schlafen. Nach 10 Minuten hatten wir eine kleine Pension in Olomouc gebucht und uns die wichtigsten Punkte der Route notiert.

Weiter geht´s. Wir passierten die Grenze und versuchten uns an der Road Mission des Tages. Das Roadbook, welches komplett in englisch geschrieben war, sprach davon, dass wir ins „Bohemian Paradise“ kommen würden und dort nach der Burg Kost zu suchen hätten. Dort angekommen sollte man sich auf einen großen Sandstein stellen und den Queen-Song „Bohemian Rapsody“ von sich geben. Er musste allerdings umformuliert werden und die Wörter balkan, express, rally, adventurer, sausage, beer und den Team-Namen enthalten. Zusätzlich sollte der Vortragende in einer Hand ein tschechisches Bier und in der anderen Hand ein „Utopenec“ halten.

Nachdem wir uns dreimal verfahren haben und zweimal umgekehrt sind, kamen wir in eine Bergregion, in welcher wir viele Wanderer und Radfahrer sahen. Dann entdeckten wir zunächst eines und später weitere Fahrzeuge mit Aufklebern der Balkan-Rallye. Wir waren erleichtert, denn der richtige Weg schien endlich gefunden. Nach einer Weile kamen wir tatsächlich an einer Burg an, parkten und überlegten wie es weitergeht.

Dann sah ich ein Rallye-Fahrzeug, dass mir schon beim Start in Dresden aufgefallen war. Es war Team 37, Caro und Manuel, ein junges Paar aus dem Ruhrgebiet (mehr zu ihnen und ihrem Fahrzeug später). Wir kamen schnell ins Gespräch. Manuel hatte schon eine Dose Bier organisiert, aber es fehlte noch der, die oder das Utopenec. Die Benutzung von Handys war ja nicht verboten und so fanden wir heraus, dass es sich dabei um eine spezielle tschechische Brühwurst handelt. Zum Glück konnte man an der Burg auch etwas zu essen kaufen.

Da ich kurz zuvor an einem Geldautomaten etwas Geld in Landeswährung besorgt hatte stand dem Wurstkauf nichts mehr im Wege. Wir fanden einen großen Sandstein, trugen mit Bier und Wurst unsere Bohemian Rapsody vor und ließen uns von unseren Frauen fotografieren.

Anschließend verspeisten wir unsere Würste und nahmen uns die Zeit, uns ein wenig näher kennen zu lernen, bevor es weiter gehen sollte.

Im Road-Book war noch der Besuch von zwei anderen Sehenswürdigkeiten nahegelegt, der Trosky Burg und den Prachov Rocks. Die Burg war einfach zu finden, da sie laut Beschreibung auf 2 erloschenen Vulkanen stand und von weit her zu sehen war. Dort angekommen teilte man uns allerdings bereits auf dem Parkplatz mit, dass die Ruine schon geschlossen sei. Da es bereits dämmerte beschlossen wir, auf den letzten Punkt zu verzichten und direkt das Tagesziel Olomouc anzusteuern.

Als wir nach weiteren Stunden Fahrt endlich gegen 21:30 Uhr dort eintrafen hatten wir 365 km zurückgelegt, für welche wir 9 Stunden Zeit gebraucht haben. Wir hatten das Gefühl, dass diese Rallye doch anstrengender, und die Landstraßen doch zeitaufwendiger sind als gedacht. Und es wird nicht der einzige Tag gewesen sein, wo uns dieses Gefühl begleitet.

 

Andere Teams & Fahrzeuge

Caro und Manuel vom Team CarMa (#37) waren das erste Team, das wir auf unserer Reise näher kennenlernten. Es war sehr schön zu erfahren wer die anderen Teilnehmer sind, was sie bewegt und oft waren auch ihre Autos interessant. Darum möchte ich Euch jeden Tag ein Team vorstellen, dass wir kennengelernt haben, oder welches uns beeindruckt hat.

Also, ich gebe ehrlich zu, dass es beim Team CarMa das Auto war, welches mir zuerst aufgefallen ist. Viele Teilnehmer fuhren Geländewagen, Kombis, Bullis oder anderes abgefahrenes Gerät. Nicht selten rallyemässig aufgemotzt.

Und dann stand da beim Start in Dresden noch diese Mercedes E-Klasse Cabrio (W124), der aussah wie frisch aus dem Ei gepellt. Ein Auto, dass ich selber liebend gerne besessen hätte um damit im Sommer durch die Brandenburger Landschaft zu fahren. Aber auf eine Rallye durch den Balkan?

In der Urzeit des RTL-Trash-Fernsehens moderierte Linda de Mol von 1992 – 2000 jeden Sonntagabend die Sendung „Traumhochzeit“. Drei heiratswillige Paare traten gegeneinander an, machten diverse Spielchen und das Paar, welches gewann wurde noch am selben Abend getraut. Die Sendung erzielte mit bis zu 11 Mio. Zuschauern Rekorde und viele Augen wurden feucht, wenn die Braut in ihrem Brautkleid die Treppe hinabstieg, wo nicht nur der Bräutigam wartete, sondern auch das Auto, dass die beiden gewonnen hatten.

Dies war in jeder Sendung ein Mercedes E-Klasse Cabrio. Eben genau so ein Auto wie es vom Team CarMa gefahren wurde. Wahrscheinlich sind Caro (30) und Manuel (31) viel zu jung um die Sendung zu kennen, aber Caro´s Oma, welcher der Mercedes gehört, kennt sie bestimmt, denn Sie ist einen Tag nach dem Ende der Rallye, am 5. September 90 Jahre alt geworden. Sie hat das Cabrio immer gepflegt und nur selten genutzt. So kam es, dass der Mercedes beim Start in Dresden erst 85.000 km auf dem Tacho und keine einzige Roststelle hatte. Vielleicht durfte er im Alter von 22 Jahren nun zum ersten Mal auf eine große Reise gehen.

Aber nicht nur der Benz, sondern auch Caroline und Manuel sind ein interessantes und engagiertes Paar. Auf die Frage, warum sie an der Rallye teilnehmen antworteten sie mir, dass auf ihrer bucket-list schon lange steht, eine große Tour durch fremde Länder zu machen und andere Menschen kennen zu lernen. Aber es ist nicht ihre erste Reise in andere Kulturen. Beide sind große Brasilien Fans und engagiert in sozialen Projekten. Daher ist ihr Spendenprojekt auch die „Favela Education“ in Brasilien, wo Caro bereits einige Zeit vor Ort verbracht hat.

Während viele junge Menschen sich heutzutage mit Karriere, Standard-Urlaub und Selbstdarstellung begnügt, nimmt hier ein außergewöhnliches Paar in einem wunderschönen Auto an der Rallye teil. Hut ab! Mehr von Caro und Manuel findet Ihr übrigens auf ihrem Instagram-Account unter https://www.instagram.com/team.CarMa/

 

Hintergrundinformationen

Als wir während der Fahrt im Roadbook die Aufgabe von der Bohemian Rapsody lasen, fragte mich Romana, was damit genau gemeint war. Natürlich kommt einem zuerst der Song von Queen in den Kopf. Dann schlug der Ruhrpottler in mir zu, der zwar keine Ahnung hat, aber alles erklären kann. Ich erläuterte, dass Rapsody ja irgend so eine besondere Art von Musikstück sei und Bohème wäre halt so ein Wort für Künstler, Freigeistern, die ihre eigene Lebensart lebten.

Erst nach der Reise, als ich die Zeit hatte mal nachzulesen, was ich da alles gesehen habe, wurde mir klar, dass hier meine Englischkenntnisse total versagt haben. Das englische bzw. lateinische Wort „Bohemia“ steht nämlich Böhmen. Auch die Region Moravia, in welcher unser Etappenziel Olomouc lag, ist nicht so unbekannt wie ich dachte, denn Moravia steht für Mähren.

Unsere Etappe am ersten Tag führte uns also durch Böhmen und endete in Mähren.

Das ehemalige Königreich Böhmen ist über 1000 Jahre alt. In seiner Geschichte trafen oft religiöse und ethnische Gegensätze aufeinander, die im Wesentlichen von deutschen, tschechischen und jüdischen Einflüssen geprägt waren. Im 19. und 20. Jahrhundert schöpften Schriftsteller wie Adalbert Stifter, Rainer Maria Rilke, Franz Kafka aber auch Komponisten wie Smetana, Dvorak und Mahler in ihren Werken aus der reichen multikulturellen Tradition des Landes.

Die Geschichte Böhmens und Mährens, insbesondere die jüngere Geschichte, ist auch Teil deutscher Geschichte. Während in diesen Regionen seit Jahrhunderten deutsche mit anderen Volksgemeinschaften nebeneinander lebten, wurden zu Zeiten des Nationalsozialismus überwiegend deutsch besiedelte Gebiete in Nord- und Südmähren, sowie Randgebiete Böhmens unter dem Begriff Sudetenland dem deutschen Reich zugeschlagen.

Nach dem Ende des 2. Weltkrieges entluden sich 1945-46 die während der Protektoratszeit gewachsenen Spannungen zwischen den tschechischen und deutschen Bevölkerungsteilen und es kam zur Vertreibung der deutschen Bevölkerung mit zahlreichen Toten. Die im Nachkriegs-Deutschland angekommenen Vertriebenen bildeten recht bald verschiedene Vertriebenenverbände. So auch die „Sudetendeutsche Landsmannschaft“, welche personell und programmatisch eng mit der CSU verwoben ist und sich, wie andere Vertriebenenverbände, deutlich gegen die Ostpolitik von Willy Brandt und den Verzicht auf deutsche Gebietsansprüche positioniert hat.

 

Gedanken zum Tag

Der in Prag (Böhmen) geborene Rainer Maria Rilke schrieb einmal:

Ist es möglich,dass man Jahrtausende Zeit gehabt hat,
zu schauen, nachzudenken und aufzuzeichnen,
und dass man die Jahrtausende hat vergehen lassen wie eine Schulpause,
in der man sein Butterbrot isst und einen Apfel?

 

Ja, es ist möglich.

 

Ist es möglich,
dass man trotz Erfindungen und Fortschritten,
trotz Kultur, Religion und Weltweisheit
an der Oberfläche des Lebens geblieben ist?
Ist es möglich, dass man sogar diese Oberfläche,
die doch immerhin etwas gewesen wäre,
mit einem unglaublich langweiligen Stoff überzogen hat,
so dass sie aussieht, wie die Salonmöbel in den Sommerferien?

 

Ja, es ist möglich.

 

Ist es möglich, 
dass die ganze Weltgeschichte missverstanden worden ist?
Ist es möglich, dass die Vergangenheit falsch ist,
weil man immer von ihren Massen gesprochen hat,
gerade, als ob man von einem Zusammenlauf vieler Menschen erzählte,
statt von dem Einen zu sagen,
um den sie herumstanden,
weil er fremd war und starb?

 

Ja, es ist möglich!