Tagebuch

Es ist Samstag der 25. August und der Wecker klingelt zu einer Uhrzeit, zu der selbst Mönche im Kloster sich noch einmal genüsslich im Bett umdrehen. Auch unsere beiden Hunde halten das für einen Irrtum und schlafen weiter. Aber es ist kein Irrtum.

Viele der Rallye-Teilnehmer sind bereits am Freitag nach Dresden und haben am Vorabend ein erstes geselliges Treffen absolviert. Da es von unserem Wohnort zum Start in Dresden nur ca. 170 km sind hatten wir uns entschlossen, erst am Samstag morgen anzureisen. Um auf jeden Fall pünktlich am Start zu sein mussten wir also früh aufstehen.

Das allein war schon schlimm genug. Hinzu kam aber noch, dass man am letzten Tag noch feststellt, dass diese oder jene Kleinigkeit noch gemacht werden muss. Hier war noch schnell eine Überweisung zu tätigen, dort mussten noch ein paar E-Mails vor dem Start beantwortet werden und das Live-Tracking musste ja auch noch auf der Webseite eingebaut werden.

Schlussendlich saß ich mal wieder bis weit nach Mitternacht am Rechner und musste am Samstag morgen mit 4 Stunden Schlaf unsere Rostlaube nach Dresden steuern. Aber der Saab fuhr gut und wir freuten uns auf das was kommen sollte.

Kurz vor Dresden kamen dann über WhatsApp die ersten Meldungen von Teilnehmern, die schon am Start waren und soeben ihr Road-Book bekommen hatte. Und was sie berichteten war ein Schock. Alle Teilnehmer gingen bisher davon aus, dass das Ziel für den 1. Tag  Wroclaw (Breslau) in Polen sein würde. So war es den Zeichnungen zu entnehmen. Und es machte auch Sinn, denn schließlich starteten wir erst mittags so dass die 260 km eine angemessene Strecke schienen.

Jetzt erfuhren wir, dass unsere Reise uns am ersten Tag nach Olmütz in Tschechien führen würde, also 100 km mehr zu fahren sind. Die längere Strecke war jedoch noch das kleinste Übel. Viel schlimmer: ich hatte keine Karte von Tschechien! Wäre unsere Reise – wie vermutet – über Breslau gegangen, hätten wir die Tschechei nur kurz durchquert und wären weiter in die Slowakei. Somit war ich zwar im Besitz einer tollen Karte von Süd-Polen und einer von der Slowakei, aber Tschechien fehlte.

Aber wozu hat man Handys mit Fotofunktion! Am Start suchten wir uns einen Teilnehmer, der eine solche Karte besaß und die Route schon mit Marker gelb eingezeichnet hatte. Schwups ein Foto gemacht. Gleichzeitig fiel uns auf, dass es gar nicht so dumm ist, wenn man die Route in den Landkarten einzeichnet. Also schnell noch im gegenüberliegenden Einkaufszentrum einen Schreibwarenladen gesucht, ein paar Kugelschreiber und drei Stabilos gekauft. Die Verkäuferin meinte, dass die Marker heute besonders gut laufen. Wir waren also scheinbar nicht die Einzigen, die noch Last-Minute-Einkäufe machten.

Zurück auf dem Marktplatz hatten wir gerade noch Zeit für einen kurzen Rundgang um uns die anderen Fahrzeuge anzusehen. Wir waren ja schon stolz darauf, wie wir unseren alten Saab gerichtet hatten und fanden die rote Nase auf der Motorhaube unschlagbar. Falsch gedacht! Es waren jede Menge alte, tolle und witzige Fahrzeuge dabei. Und auch unsere rote Nase wurde noch getoppt. Da wo bei unserem Saab eine leuchtend rote Kugel glänzte hatte das Team „Männertours“ ihrem Opel Astra einen Dildo verpasst, doch davon später mehr.

Kurz darauf begann auch schon die Einweisung der Rallye-Leitung, ein Gemeinschaftsfoto und die Rallye startete indem ein Fahrzeug nach dem anderen über die Startlinie fuhr und offiziell verabschiedet wurde.

Angesichts des fehlenden Kartenmaterials entschlossen wir uns, einfach den Anderen hinterher zu fahren. Das ging 5 Minuten gut. Auf einer großen 3-spurigen Straßenkreuzung zeigte die Ampel rot. Wir standen in der mittleren Spur. Rechts und links von uns auch jeweils Rallye-Teams. Cooler Anblick, drei alte Rallye-Kisten nebeneinander. Als die Ampel dann jedoch auf grün wechselte war es wie in einem schlechten Film. Das Team rechts neben uns bog rechts ab, das Team links neben uns bog links ab, wir fuhren geradeaus, waren plötzlich allein und das Drama nahm seinen Lauf.

Hintergrundinformationen

Alle Rallye-Teams erhielten das sogenannte Road-Book erst wenige Minuten vor dem Start. Zwar hatten wir schon davon gehört, dass dort die eine oder andere witzige Aufgabe drin stehen soll, aber das es so krass wurde haben wir nicht gedacht.

Was war zu tun? Nun, man konnte Punkte auf unterschiedliche Weise sammeln. Hier eine kurze Beschreibung:

Task of the day

Jeden Tag gab es eine Strecke, die gefahren werden sollte. Meist waren dies ca. 450 km, was sich zunächst nicht viel anhört. Angesichts der Tatsache, dass Autobahnen verboten waren, der Zustände und dem Verkehrsaufkommen (inkl. Unfällen) auf dem Balkan waren dies in der Realität meist zwischen 7 und 9 Stunden Fahrzeit.

Road Mission

Zusätzlich gab es jeden Tag 1-3 Zusatzaufgaben zu lösen. Einen Tag musste man sich eine Kette aus Knoblauch, ein Kreuz und einen Holzpfahl besorgen, den Ort suchen wo Dracula geboren wurde, dort einen Menschen finden, der wie ein Vampir aussah und diesen symbolisch pfählen. Ein anders mal musste man irgendwo in der Pampa eine Holzkirche finden, dort auf ein anderes Rally-Team warten, die Beifahrer tauschen und weiterfahren. Die Beifahrer mussten dann den neuen Fahrer während der Weiterfahrt mit Witzen zum Lachen bringen damit er sie wieder raus ließ. Ein anderes Mal musste man mit bulgarischen Fernfahrern Armdrücken und viele weitere verrückte Dinge tun.

De-Tour Mission

Eine andere Möglichkeit Zusatzpunkte zu sammeln waren die De-Tour-Missions. Hier waren im Road-Book zusätzliche Highlights aufgeführt, die man besichtigen konnte. Mal konnte man eine Höhle besichtigen, einen vergifteten See oder Titos Atombunker suchen. Alles sehr reizvolle und lohnenswerte Ziele. Das Problem daran war, dass dies immer mit einem zeitfressenden Umweg von mindestens 50 km verbunden war.

10 Foto-Aufgaben

Dann waren da noch die 10 Fotos die gemacht werden sollten. Im Road-Book waren Szenarien beschrieben, die man fotografisch abbilden sollte. Da hieß es beispielsweise:

  • Suche eine Gruppe mit 15 Asiaten und lass dich mit ihr fotografieren
  • Lass ein Pferd vor Deinen Wagen spannen und diesem vom Pferd ziehen
  • Suche ein Schaf, setze dieses ans Steuer und mache ein Foto
  • Mache ein Foto von deinem Auto im Top-Gear-Style (es musste ein Panzer, ein Kampfflugzeug oder eine Explosion mit auf dem Bild sein
  • Mache ein Foto, wie du mit einem Bären kämpfst
  • Und einige weitere lustige Aufgaben

Tausche die rote Büroklammer

In jedem Road-Book befand sich eine rote Büroklammer. Die Aufgabe bestand darin, diese in jedem Land gegen einen anderen Gegenstand in einer anderen Farbe einzutauschen. Die Farben waren in jedem Land vorgegeben und die neu getauschten Gegenstände mussten immer mindestens 100 g schwerer sein. Tausch war nur mit Einheimischen erlaubt. Hört sich nicht so schlimm an. Zumindest wenn man in einem Land englisch oder französisch sprechen kann. Aber damit kommst Du auf dem Balkan nicht wirklich weit.

Gedanken zum Tag

Wenn ich heute auf den Start und den ersten Tag zurückblicke kommt mir unweigerlich eine Passage aus der Dreigroschenoper von Berthold Brecht in den Sinn

„Ja, renn nur nach dem Glück 
doch renne nicht zu sehr 
denn alle rennen nach dem Glück 
das Glück rennt hinterher.

Ja, mach nur einen Plan 
sei nur ein großes Licht 
und mach dann noch 'nen zweiten Plan 
gehn tun sie beide nicht.“

 

Im nächsten Teil erfahrt Ihr, was am 1. Tag alles passiert ist

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